Christian Schellenberger

SCHLENKER
13.1. – 8.2.2018
SCHLENKER, 2018
Wandzeichnung ca. 13 ×5 m, Tusche auf Wand

Mag der Geist aus der Hand in die Welt treten, um seine Formen und Unformen – sich selbst – zu verwirklichen, dennoch verweist MANISCHES Graphieren auf ein Eigenleben des Handgreiflichen, das ihm, Male kritzelnd, und mir, Maschine schreibend, unterläuft. Wortwörtlich: wie ein Strom unter uns hindurchfließt, in den wir springen, um auf gegenüberliegenden Ufern an Land zu schwimmen. Dies ist das Exerzitium des graphischen Malochens, ein permanentes Ans-Ufer-Schwimmen, unaufhörlicher Versuch, nicht von der gleichgültigen Strömung erfasst und in den Orkus mitgerissen zu werden, den überall und ständig neu sich bildenden Strudeln und Wirbeln, den Treibgütern sowie falschen Gesängen von noch ganz anderen Ufern her zu widerstehen, nicht einzustimmen in die Angstlust am Untergehen, Tauchgang gleichsam in die alles verheißenden, nichts verschreibenden Tiefen; und dennoch, auch, sich erfassen lassen vom Strom, in dessen Mitte sich anschrägen, ganz gleich in welche Richtung, den
Körper: die HÄNDE wie ein Ruder im endlosen Fließen leicht quer stellen, um sich auszurichten, eine Direktion anzunehmen, ohne gleichwohl zu wissen, wo dieses graphische Körperschiff, ob beim Buchstaben, ob bei der Zeichnung, anlegen wird.

aus: In der Wüste der Linien, Christian Driesen

Drama
16.7. – 13.8.2016

Christian Schellenberger & Rike Horb
kuratiert von Jagoda Kamola

Rike Horb, Kräuter der Provence, 2016
Größe variabel, Ziegel in Beton
Christian Schellenberger, All City NRG (China)
2016, ca. 400 ×150 cm, Siebdruck auf Papier
Rike Horb, Der Garten meines Fundaments, 2014/16
Größe variabel, gepresste Stadtrandpflanzen

Fotos: Björn Siebert

Diese Duo-Ausstellung der Galerie b2_ zeigt neue Arbeiten der Künstler Rike Horb und Christian Schellenberger. Die aus Ziegeln und Beton bestehenden Objekte sowie die als Herbarium angelegte Installation aus getrockneten Feldblumen, die die Künstlerin an Berlins Peripherien gesammelt hatte, treffen auf Schellenbergers Zeichnungen. Diese entstanden in urbanen Räumen und wurden im Siebdruckverfahren zu Großdrucken zusammengefügt. Schellenbergers kartografische Bilder und Horbs Installationen, die die Künstlerin als „Raumzeichnungen“ versteht, begegnen einander in der Idee der Stadt-Notation. Gleichzeitig können sie als Handlungen verstanden werden.

Der im Titel aufscheinende Begriff des Dramas (gr. drama: Handlung) als literarische Gattung, die auf eine bestimmte Wirkung im Betrachter abzielt, unterstreicht das performative Moment dieser Werke; als installative Gesten einerseits und auf dem Papier festgehaltene Handlungen andererseits. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Performativität, der den Aufführungscharakter von Kultur definiert und als ästhetischer Sammelbegriff für körperbetonte Kunst fungiert, weitergedacht und auf die Möglichkeit einer „Post-Performativität“ getestet, die die Agenz von Objekten miteinbezieht. In den letzten Jahren hat die Performativität, die als Gegenpol zur Theatralität entworfen wurde, in zahlreichen Publikationen wie Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen eine besondere Aufmerksamkeit erhalten. Während Theatralität die Inszeniertheit und die demonstrative Zurschaustellung von Handlungen fokussiert, hebt Performativität die Selbstbezüglichkeit von Handlungen und ihre wirklichkeits-konstituierende Kraft hervor. Während eine leibliche „Ko-Präsenz aller Beteiligten“, den Arbeiten nicht anzusehen ist, kennzeichnet die Werke das Ausbleiben einer unmittelbaren Handlung, die sich in ihnen als Spur eingeschrieben hat und so deren Agenz begünstigt; in den gepressten Blumen, die das Herbarium zum Bersten bringen, den in Beton gegossenen Objekten, die dem Betrachter armeenhaft gegenübertreten, den Druckschichten, die sich zu Palimpsesten stapeln. Mit diesen Eigenschaften wird eine Räumlichkeit, eine Flüchtigkeit und eine plötzliche Emergenz, das heißt die Ereignishaftigkeit von Handlungen, die eine Performance konstituiert, begünstigt.

Jagoda Kamola

english

This two-person exhibition at the Galerie b2_ presents two new works by artists Rike Horb and Christian Schellenberger. Horb’s brick and concrete objects as well as her herbarium-like installation made of dried wildflowers, which the artist collected at the outskirts of Berlin, enter into a dialogue with Schellenberger’s drawings. These were created in urban spaces and assembled into large-size prints by using the silkscreen technique. Schellenberger’s cartographic images and Horb’s installations, seen by the artist as “spatial drawings”, converge in the idea of urban notation. At the same time, they can also be understood as actions.

The notion of drama (Gr. drama: action) as a literary genre aiming at a particular kind of effect on the viewer, which gives the exhibition its title, underlines the performative aspect of these works: on the one hand, as spatialized gestures and on the other, as actions captured on paper. In this regard, the exhibition builds upon the notion of performativity, which defines the performance-like character of culture and serves as an aesthetic umbrella term for body-oriented art, and explores the possibility of “post-performativity”, a term which incorporates the agency of objects. Performativity, conceived as a counterpoint to theatricality, has been the object of increasing attention in recent years in numerous publications such as Erika Fischer-Lichte’s Ästhetik des Perfomativen. Whereas theatricality emphasizes the staging and offering to view of actions, performativity stresses their self-referentiality and power to constitute reality. While the works in this exhibition are not grounded in a bodily “co-presence of all participants”, they are characterized by the absence of an immediate action, which is rather inscribed in them as a trace and as such fosters their agency; in the pressed flowers which make the herbarium burst, in the concrete objects confronting the viewer as an army, in the layers of palimpsest-like prints. These features are conducive of a spatiality, an elusiveness and a sudden emergence, that is, the event-like quality of actions which constitutes a performance.

Translation: Vanja Sisek

TOACTUALLY QIMAIKE IN THESE!
10.7. – 8.8.2015

Christian Schellenberger & Daniel Poller

In TOACTUALLY QIMAIKE IN THESE! stellt Christian Schellenberger zum einen eine neue Serie von Zeichnungen vor, die er während seiner Zugfahrten von Berlin nach Peking und auf vielen Reisen innerhalb Chinas entwickelte. Während einer Zugfahrt verwischen die Grenzen zwischen Innen und Außen, zwischen Bewegung und Stillstand. Eine Verstärkung dieser Bedingungen erfährt Schellenberger beim Akt des Zeichnens, welcher immer mit einer gewissen Sensibilisierung einhergeht. Er verbindet sich mit der Maschine Zug, die durch die unbekannten Landschaften fährt, während die dadurch automatisierten Bewegungen seiner Hand auf dem Papier Striche und Linien erzeugen. Zum anderen wird die Serie „Buildings & Busrides“ gezeigt, bei der es sich um Siebdrucke auf Digitaldruckfolien handelt. Die Vorlagen für die Folien wurden in täglichen Zeichensessions in einer Shoppingmall in Peking
angefertigt.

Unter dem Eindruck der dort herrschenden Betriebsamkeit kritzelt Schellenberger bis ein schriftartiges Element entsteht, das sowohl mit dem bereits Gezeichneten korrespondiert als auch seiner inneren Verfassung entspricht. Wenn dieses da ist, geht er systematisch vor, zeichnet es wiederholt und bewegt sich dabei von links nach rechts und von unten nach oben. Die Wiederholung widersteht der Idee des Neuen, doch für Schellenberger kann das so selten Neue gerade aus dem Prozess der Wiederholung resultieren. Die Linien und Zeichen verändern sich langsam und bilden eine in die Höhe wachsende verdichtete Gitterstruktur. Die gedehnten Formate erinnern an zu schnell gebaute und schon bröckelnde Wolkenkratzer. Sie funktionieren wie eine Datenbank oder ein Schriftsystem, in welchem das Ikonische seine Bedeutung eingebüßt hat.

Buildings & Busrides, 2015
Siebdruck auf Digitaldruckfolie
223 × 75 cm
Buildings & Busrides, 2015
Siebdruck auf Digitaldruckfolie
473 × 76 cm
Zugzeichnungen (Berlin–Beijng), 2014
Rohrfeder und Tusche auf Papier
je 42 × 59,4 cm
Daniel Poller
field notes of fences, 2015
Dreikanal-Diaprojektion, Maße variabel

Daniel Poller bewegte sich bei einem Aufenthalt in Budapest mit der Kamera um das ungarische Parlamentsgebäude. Der davor gelegene Kossuth-Platz befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Rekonstruktion. Bereits 2010 hatte die ungarische Regierung unter Victor Orbàn beschlossen, dem Kossuth tér das Aussehen von vor 1944 zurück zu geben. Dadurch sollte auch der neuen Verfassung und der damit vermeintlich zurückeroberten Unabhängigkeit Ungarns Ausdruck im öffentlichen Raum verliehen werden. Historische Ansichten des Vergangenen und digitale Renderings des Kommenden zeigten sich auf den Bauzäunen und überlagerten den gegenwärtigen Stand des Kossuth-Platzes. Kurz bevor Poller seine Aufnahmen machte, ließ die mit absoluter Mehrheit im Parlament ausgestattete Fidesz-Regierung das dort stehende Denkmal Mihály Károlyis demontieren und plante dieses durch Istvan Tiszas 1945 zerstörte Monument zu ersetzen. Heute ist dieser Prozess abgeschlossen, das historische Narrativ ist aus der Sicht national-konservativer Kräfte Ungarns um einen Nestbeschmutzer bereinigt und die Geschichte revidiert. „field notes of fences“ mündete in ein Künstlerbuch (2014), das sich dem Prozess dieser historischen Diskontinuität im Aufeinanderprallen von Bildräumen widmet und selbst eine gebrochene Erzählung erzeugt. Doch obwohl der Bildersturm auf den Kossuth tér nun bereits schon wieder in der Vergangenheit liegt, bleibt die Frage nach der Konstruktion eines historischen Gedächtnisses hochaktuell. In der Galerie b2_ zeigt Daniel Poller „field notes of fences“ nun als Dreikanal-Diaprojektion, welche die einzelnen Bilder immer wieder miteinander kollidieren lässt und so einen dynamischen Bildraum erzeugt.

Lesung: CALYBA (Gedichte)
WHAT I DO
4.5. – 15.6.2013

Christian Schellenbergers Arbeitsmedium ist die Zeichnung. Sie dient ihm nicht so sehr als Mechanismus des Ab-Bildens von Wirklichkeit denn vielmehr als Möglichkeit einen formbildenden Prozess zu aktivieren. Er selbst beschreibt seine Arbeiten als Ringen verschiedener zeichenhafter Ausdrucksmittel, pendelnd zwischen Linearität und Schriftlichkeit, die in einem Antagonismus von Spontaneität und Kontrolle entstehen. Seine Impulse empfängt er aus ständiger Bewegung: egal ob auf Reisen oder in den Alltagswelten des öffentlichen Raums, die einzelnen Ortswechsel bilden vermittelt über den bewegten Körper die Grundlage für die Produktion seiner Serien. Am Ende dieses Prozesses spielfreudiger und entdeckungslustiger (Selbst-) Beobachtung stehen Arbeiten, deren formale Offenheit und Dynamik oft an bekannte Strukturen erinnern, ohne diese jedoch klar zu benennen.

english

Christian Schellenberger works with drawing. This medium serves not as a mechanism of depicting reality but rather as a way of activating a formative process. Schellenberger describes his work in terms of various emblematic expressions that wrestle with each other, move between linearity and language, and ultimately emerge from an antagonism between spontaneity and control. His impetus comes from constant flux: be it travelling or experiencing the everyday world of public space, the individual change of location, mediated by the moving body, forms the basis of this series. At the end of this playful and investigative process of (self) observation are works which, through their formal candour and dynamics, often call to mind familiar structures without, however, directly labelling them as such.

All City NRG
2012, 445 × 150 cm – 382 × 150 cm
Siebdruck auf Papier
Zugzeichnungen (Karlsruhe – Belgrad)
2012, 42 × 59,4 cm
Rohrfeder und Tusche auf Papier
Istanbul
2013, 150 × 347 cm
Siebdruck auf Papier
Zugzeichnungen (Leipzig - Berlin)
2011 – 2013, 35 × 50 cm
Rohrfeder und Tusche auf Papier

Draußen fliegt eine Landschaft vorbei, immer dieselbe, dieselbe immer anders. Die Landschaft, die da draußen da, immer da ist. Aber die Landschaft fliegt gar nicht, sondern da fährt ein Zug durch, und in dem Zug sitzt ein Körper mit Augen. Der Körper mit den Augen zieht durch die Landschaft hindurch und die Bäume und Türme, die Windräder und Wolken, die Flüsse und Büsche strömen durch ihn, durch den Körper mit den Nerven- und Blutbahnen, hindurch. Er hält den Strom von Assoziationen nicht auf-, aber fest - wie ein Stenotypist: Striche, Kritzel, Kratzel und Krakel finden sich wieder sich auf dem Papier, das der Körper mit den Händen auf den Knien hält. Das Gekritzel nimmt Fahrt auf. Auf zu einer Form oder von einer Form weg. Hin und weg. Wie die Wörter, die dem Körper mit den Händen durch den Kopf schießen, er weiß nicht warum, denkt sie einfach, ohne sie durchdacht zu haben. Die Wörter im Kopf des Körpers werden zu Gedanken, die Gedanken kehren auf halbem Wege wieder um. Zurück zum Papier. der Körper reagiert auf seine Spur, spürt dieser Reaktion nach. Zieht nach! In welche Richtung bewegt er sich? Eindruck wird Ausdruck und Ausdruck wieder neuer Eindruck. Er sucht was. Was sucht er? Das soll nichts sein! Am besten, er kommt gar nicht erst zu einem Wort: Zeichnung, nicht Bezeichnung.
Der Körper macht sich auf den Weg. Der Weg macht Arbeit. Die Suche geht zu den Dingen hin. Der Körper mit dem Geist konzentriert sich auf dem Weg in der Zeit und kommt so zu den Dingen, den Orten, an denen er sonst nur vorbeigezogen wäre. Ort und Zeit ein, die er durchzieht, verleibt er sich ein und kehrt die Entfernung um: die äußere Landschaft wird zur inneren und schlägt sich nieder auf dem Papier. Der Körper mit den Händen drückt seine Schulter an die Scheibe, weil der Zug sich in die Kurve legt. Es ist wichtig, dass er jetzt hier ist.
Gedanken und Gefühle reisen im Körper mit. Er nimmt wahr, wie sie in ihm Raum einnehmen, nimmt ihn, den Körper, wahr: Raum einnehmend und Kaffee aufnehmend, atmend und einhaltend, summend und brummend. Er entspannt sich, konzentriert sich. Nimmt also sich wahr; wie er Druck aushält, ihn nicht aushält, wie er schwatzt und schmatzt, wie die Füße des Körpers mit dem Bauch einschlafen und wie er, der Körper mit den Füßen, Bauchschmerzen hat. Sich, ihn - den Körper, der alles macht und immer da ist, weil er nicht woanders sein kann, als wo er ist.
Er ist hier. Bleibt in der Spur, aber offen, bleibt in der Spur, wiederholt und holt wieder, was da ist. Dreht und wendet, was auf ihn einfällt, macht sichtbar, was schon wieder weg ist. Er saugt eine Landschaft auf, spuckt sie in Strichen, Krakeln wieder aus. Spaltet sie auf in kleinste Teile, ent-scheidet, aber urteilt nicht. Der Körper lebt und zeichnet. Planvoll, ohne Taktik, mit Technik, im Takt, eventuell textuell, taktil. Draußen fliegt eine Landschaft vorbei.

Anna Herms

english

Outside a landscape flies by, always the same, the same always different. The landscape, the one out there, the one that is always there. But the landscape does not move at all, a train moves, and in the train sits a body with eyes. The body with eyes pulls through the landscape and the trees and towers, the windmills and clouds, the rivers and the bushes flow through it, through the body with nerves and blood vessels. It does not obstruct the stream of associations but records it – like a shorthand typist: lines, scribbles, doodles and scratches find themselves on paper that the body with hands holds on its knees. The doodles pick up speed. Going towards or moving away from a shape, back and forth, like words that shoot through the head of the body with hands. It does not know why, it simply thinks without thinking things through. The words in the body’s head become thoughts, the thoughts turn around again half way through; back to the paper. The body reacts to its trace and traces this reaction. Re-draw! Where is it going? Impression becomes expression and expression becomes re-impression. What is it looking for? It is looking for something. It has to be nothing! In the best case, words won’t even occur: drawing, not description.
The body with hands sets off on a journey. The journey is arduous. The search leads to objects. The body with spirit concentrates on the path in time and thus comes to objects, places, which it would normally pass by. Swallowing up the time and place that it crosses, the distance is reversed: the outer landscape becomes the inner and is deposited on paper. The body with shoulders presses against the windowpane as the train curves. It is important that it is here now.
Thoughts and feelings travel along inside the body. It perceives the way in which they occupy space inside, perceives the body: occupying space and absorbing coffee, breathing and observing, humming and muttering. It relaxes, concentrates. Perceives itself; how it endures pressure, cannot stand how it chatters and smacks its lips, how the feet fall asleep along with the stomach, and how it, the body with feet, has a sore stomach. It, the body, that does everything and is always present, unable to be anywhere else but where it is. It is here. Persisting but open, persisting, repeating and echoing what is there. Twisting and turning that which strikes it and making visible that which has already disappeared again. It sucks up the landscape and spits it out again in lines and scribbles, splitting it into tiny pieces, deciding but not judging. The body lives and draws. Planned but without tactics, with method, in tone, possibly textual, tactile. Outside a landscape flies by.