Ein Signal übertragen heißt, eine spezifische Information zu übermitteln. Dafür benötigt man einen Sender und einen Empfänger. Das Signal ist dabei ein zuvor bestimmtes und gerichtetes Zeichen. Die Funktionsweise eines Leuchtturms, dessen Signal sich über das offene Meer erstreckt und das Festland markiert, ist ein Beispiel für eine solche Relation. Der Empfänger trägt demnach Kenntnis vom Sender und vice versa.
Diese eingängige Kausalität kann jedoch in vielerlei Hinsicht gestört, fehlgedeutet oder gar unerkannt bleiben. Die menschliche Kommunikation funktioniert ebenfalls über Signale. Die Übertragung einer Information wird zumeist von nonverbalen Signalen begleitet, die, wenn sie nicht genau codiert und interpretiert werden, zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen können. In den 1960er-Jahren entdeckte die britische Astronomin Jocelyn Bell Burnell erstmals kosmische Signale, die als pulsierendes Licht sichtbar werden.1 Es entsteht eine gewisse Nervosität, wenn die Quelle des Signals unbekannt bleibt. Zu Beginn ihrer Entdeckung lag die Vermutung nahe, dass es sich um künstlich erzeugte Frequenzen von extraterrestrischen Zivilisationen handeln könnte. Sie markiert jedoch – nicht weniger spektakulär – die Entdeckung von Pulsaren, die in ihrer Existenz als rotierende Neutronensterne gleichmäßig Lichtwellen in die Weiten der Galaxie entsenden. Interessant ist dabei die fehlende Zuordnung der Information, die inexistente Verknüpfung mit einem Empfänger. Die Signale liefern Anzeichen für eine Form der poetischen Energie, die ohne hochentwickelte Teleskope und spezifisches Wissen unlesbar wären und mithin unentdeckt blieben. Was würde es also bedeuten, mit ungebundenen Signalen konfrontiert zu sein? Können Kunstwerke als Quelle ständiger Signale verstanden werden, die ungerichtete Fragen an ihre Umwelt senden?
Solche Signale senden die Arbeiten von Heide Nord und sie bieten augenfällige Momente, deren Strahlkraft die sinnliche Wahrnehmung und das Erkennen von Inhalten gleichermaßen berührt. Die Acrylglasobjekte formieren sich aus verschiedenfarbigen, spiegelnden und transluzenten Elementen.
Der Produktionsprozess dieser Arbeiten wirkt recht simpel. Die geometrischen Figuren werden in verschiedenartige Konstellationen überführt, die in ihrer Formensprache an die Ästhetik der russischen Konstruktivisten des frühen 20. Jahrhunderts erinnern. Die schematischen Skulpturen referieren beispielsweise die architektonischen und modellhaften Entwürfe der Avantgardisten.2 Nord entwickelt variable und zweckmäßig anmutende Objekte, die eine aufschlussreiche Fortführung und Transformation durch ihre Setzung im Raum und ihre eigensinnige Tendenz zur Kontaktaufnahme mit ihren anderen Werken erfahren.
Die Objekte stehen in Beziehung zu ihren Sockeln, die mit malerischer Gestik gestaltet sind. Die gleichen Objekte werden außerdem durch die Verwendung der Methoden fotografischer Reproduktion rekontextualisiert und vermitteln sich selbst als Bild.
Nords Objekte speisen sich durch das Licht ihrer unmittelbaren Umgebung. Es wird eine geschlossene und klare Form behauptet, die sich im selben Moment über ihre transluzenten Bestandteile zerstreut. Denn die Objekte transzendieren ihre eigene rationale Formensprache, indem sie je nach Betrachtungswinkel unterschiedliche Wahrnehmung bieten. Sie atmen ein, strahlen aus und entwickeln dabei einen Schwebezustand. Es handelt sich bei ihnen also nicht um eine bildliche Konstruktion in Relation zu weltlichen Objekten, sondern um die Möglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung selbst. Die modellhaften Skulpturen präsentieren sich je nach Lichteinfall in veränderter Farbgebung und Erscheinungsform. Sie verweisen zugleich auf eine innere pulsierende Kraft, die sich über ihre begrenzte Form hinaus mitteilen will. Die geometrischen Figuren befinden sich im gegenseitigen Austausch ihrer Information, die in ihrer jeweiligen Symbolkraft enthalten ist. Die Frage, die sich hierbei stellt: Welche Bedeutung ist diesen Signalen beizumessen und welche Informationen tragen sie?
Die Schwarzweißfotografien von Heide Nord beschäftigen sich mit solchen Signalen, die über ihren reinen Informationsgehalt hinausweisen. Unter dem Titel Space Roses versammelt sie eine Serie von dokumentarischen Bildern aus Rosarien. Nord inszeniert die Kennzeichnungen der einzelnen Rosenarten zumeist zentral im Bild. Die kleinen Schrifttafeln zeigen Titel wie APOLLO XI, WOSCHOD oder KOSMOS, wobei im Hintergrund die Rosen in ihrer Vegetationsruhe zu sehen sind. Die Bilder verweisen einerseits auf einen Pioniergedanken, der den Eindruck erweckt, es könne sich um die Erstentdeckung botanischer Phänomene handeln. Andererseits erscheinen die vermeintlich unspezifischen Gewächse als Platzhalter, der im Grunde die Sehnsucht nach unbekannten Orten weckt. Die Rosen stehen dahingehend in direkter Verbindung mit der Raumfahrtgeschichte zur Zeit des Kalten Krieges.3 Die ihnen zugeordneten Schrifttafeln verweisen auf die systematische Erfassung des Weltalls und fungieren in diesem Sinne als Referenzobjekte. Bei Heide Nord wird diese Evidenz, die auf eine Realität außerhalb des Bildes verweist, in ihrer Fotoserie verhandelt. Es erscheint eine Sensibilisierung für etwas Außerbildliches, was die Sprache als Politik markiert oder gar sui generis zur Politik wird. Die Space Roses bilden dahingehend ein Beziehungsgeflecht von expansiven Kräften der Zerstreuung durch ihren Bezug zum Weltall und gleichzeitig eine Versammlung auf einer gemeinsamen konstruktivistischen Gartenfläche.
Wenn zunächst der Eindruck erweckt wurde, die technische und funktionale Komponente der Konstruktivisten stünde im Fokus von Nords Arbeiten, scheinen diese aber nicht daran interessiert zu sein, eine bloße Gestaltungsform oder Stile der russischen Avantgarde in die Gegenwart zu transferieren, um ihr eine allemal bemerkenswerte Aktualität beizumessen, sondern daran, deren soziale, politische und gesellschaftliche Kraft wiederzubeleben. Die Signale, die wiederum von Nords Arbeiten ausgehen, sind von höchster Dringlichkeit. Denn sie verweist auf nichts Geringeres als auf ein imaginäres Konzept des gesellschaftlichen Zusammenlebens, das sich über den Raum und die Zeit ausdehnt.4
Die konstruierten Bildformen der Avantgardisten werden bei Nord in die skulpturale Form und damit in den Raum übertragen. Der Ausstellungsort dient hier als Dispositiv für die Konstellation der aufeinander rekurrierenden Lichtobjekte. Doch sie verweisen mit ihren Titeln wie Cosmic Butterfly oder Trauriger Discoplanet eindeutig über ihr eigenes Dasein hinaus, auf einen weit entfernten Ort, einen Sehnsuchtsort, den schon die „Kosmisten“ um Nikolaj Fjodorow für ihre Gesellschaftsutopie beanspruchten. Fjodorow formulierte im ausgehenden 19. Jahrhundert seine Philosophie der gemeinsamen Tat, die darin besteht, eine umfassende soziale Gerechtigkeit Realität werden zu lassen. Alle Menschen, die je gelebt haben, so schreibt er, sollen mithilfe der technischen und naturwissenschaftlichen Möglichkeiten wiederbelebt werden und am Fortschritt von Kunst, gesellschaftlicher Organisation und Politik ohne die Einschränkung einer begrenzten Lebenszeit partizipieren können.5
Dabei stellt sich die pragmatische Frage nach eben diesem Ort, an dem die Vielzahl der Menschen, auch die Auferstandenen, gemeinsam existieren könnte. Die Strahlkraft der Objekte von Heide Nord verweist bereits auf diesen Raum: den suprematistischen Kosmos.6 In einer weiteren fotografischen Arbeit mit den Titeln Einsamer Komet und Andere Sonnen werden die Acrylglasobjekte vor kosmischen Landschaften inszeniert. Oberflächen von Planeten und Sternen dienen den Objekten als mögliche Umwelt, die an den kosmischen Ausweg erinnert. Den russischen DenkerInnen um Fjodorow war die Bedeutung des griechischen Begriffs κόσμος („Kosmos“) als Schönheit und Harmonie durchaus bewusst.7 Die Vorstellung beinhaltet demnach ein Harmoniebestreben, das einem dystopisch-chaotischen Weltgefüge entgegenwirken soll. In Nords Arbeiten materialisiert sich dieser Gedanke ebenfalls, wobei sie ihre Objekte schon einmal vorsorglich im Weltall platziert. Neben den Lichtobjekten entstanden außerdem Malereien auf Papier. Sie zeigen Variationen von Diagrammen und Graphen, die sich in ihrer Erscheinungsform auf statistische Erhebungen berufen. Ausgespart wird jedoch die Information, die einer Grafik ihre spezifische Funktion zuweist. Das Vehikel zur Veranschaulichung wissenschaftlicher Erkenntnisse wird demnach unterminiert. Was sich somit vorrangig zeigt, ist der ästhetische Gehalt, welcher zum Untersuchungsgegenstand avanciert. Nord behauptet darin eine Reihe von Ordnungsprinzipien, die sie zugleich versucht aufzulösen, so beispielsweise in den aufgesprengten, verzerrten und mäandernden Diagrammen Wish You Where Here II und Going Places.
Heide Nord versammelt ihre Werke unter Verwendung verschiedener künstlerischer Mittel, die untereinander Schwingungen, Frequenzen und Energien austauschen und dabei ein Exempel ihrer Existenz andeuten, das sich durch ihre jeweiligen Beziehungen manifestiert. Man stelle sich einen Ausflug ins Weltall vor und denke zugleich an einen Spaziergang durch das Rosarium.
Gottfried Boehm verweist in seinen Ausführungen zum „ikonischen Wissen“ auf die Veranschaulichung von Wissen und die daran geknüpfte ästhetische Erfahrung mithilfe von Modellen. Er beleuchtet die Bezüge von modellhaften Simulationen auf ein in der Welt vorhandenes Original.8 Die Referenz, die damit hergestellt wird, funktioniert als Vehikel, das wissenschaftliche Phänomene sowie unerforschte Orte oder Lebewesen vorstellbar werden lässt. So kondensiert und teilweise verdichtet, wie Nords Arbeiten sich der BetrachterIn präsentieren, eröffnen sie die Aussicht auf jene Utopie einer möglichst anderen Ordnung und Systematik im gegenwärtigen Blick auf das Weltgeschehen. Die Werke bieten Anschlüsse an ein phantasievolles Denken in Möglichkeitsformen. Sie erschaffen Durchlässigkeiten, die so konstituiert sind, dass Austausch stattfinden kann und Zugänge eröffnet werden. Heide Nord verwendet explizit Gegenstände und Bilder, die bei jedem Versuch ihrer Erläuterung gleichermaßen etwas anderes beschreiben, was zunächst unsichtbar bleibt. Ihre Arbeiten dienen als jeweils eigene Referenzgröße, als Verweise untereinander. Dieselben Objekte und Bilder sind jener ästhetischen Aussage verbunden, die die Fähigkeit besitzt, essenzielle Fragen mit künstlerischen Verfahren zu überlagern, um dabei Transparenz zu erzeugen. Wenn das die poetischen Kräfte sind, die mit den Ständigen Signalen in den Wahrnehmungsraum übertragen werden und somit einer jeden EmpfängerIn potenziell zur Verfügung stehen, sollte ein zusätzlicher Verstärker angeschlossen werden, der jene Idee weit über die Räume der Kunst hinaus trägt.
1 Siehe u. a. Maurice Riordan und Jocelyn Bell Burnell, Dark Matter: Poems of Space, Lissabon: Calouste Gulbenkian Foundation, 2008.
2 Ich möchte an dieser Stelle auf die Entwurfszeichnungen mit dem Titel Radiosprecher von Gustav Klucis aus dem Jahr 1922 hinweisen. Er entwickelte in dieser Zeit leicht installierbare „Kioske“, die als Bühne der Vermittlung utopischer Konzepte dienten. Vgl. Margit Rowell und Angelika Zander Rudenstine, Russische Avantgarde aus der Sammlung Costakis, Hannover: Kestner-Gesellschaft, 1984, S. 290ff.
3 Hier ist auf die Nähe zu den Skulpturen und Malereien von Ivan Kljun hinzuweisen, die sich sowohl durch eine besondere Materialkombination als auch über die inhaltliche Auseinandersetzung mit Bewegung (Zeit und Raum) sowie Telegrafie auszeichnen; vgl. Rowell/Zander Rudenstine 1984, S. 81ff.
4 Vgl. Groys, Unsterbliche Körper, in: Boris Groys und Michael Hagemeister, Die Neue Menschheit. Biopolitische Utopien in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005, S. 9.
5 Vgl. ebd., S. 11.
6 Vgl. Werner Hofmann (Hrsg.), Kasimir Malewitsch. Suprematismus – Die gegenstandslose Welt, Köln: DuMont, 1962, S. 39ff.
7 Vgl. das Gespräch von Anton Vidolke und Hito Steyerl, Der kosmische Laufsteg und die Produktion von Zeit, in: Boris Groys und Anton Vidolke (Hrsg.), Kosmismus, Berlin: Matthes & Seitz, 2018, S. 76f.
8 Vgl. Gottfried Boehm, Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin: University Press, 2007, S. 115f.